Was macht die Faszination der Wüste aus? Wie hilft sie uns zu entschleunigen und innere Ruhe zu finden? Und macht es wirklich Sinn dieser Urgewalt mit weiblicher Energie und Hingabe zu begegnen? Sabera Machat muss es wissen denn sie lebt seit über 20 Jahren in der Wüste Sinai. Mit den Beduinen hat sie einzigartige und tiefgründige Wüstenreisen entwickelt. Eine Liebeserklärung von Ihr an Ihre Wahlheimat: die Wüste Sinai.
Die Poesie der Wüste – Wüstenreisen mit Sabera Machat
Alles kann eine Einladung zur Meditation sein. Eine kleine Blume, die aus einem Riß im Fels wächst, ein Stein, in dem Du Dich hineinlegen kannst, die Farbmuster in den Steinen, der feine Sand, der durch Deine Hände fließt, das hören Deiner eigenen Schritte, wenn Du gehst. Oder einfach dieser Moment tiefster Stille in der die Botschaften, die stets aus der Stille kommen, Dein Herz berühren können.
Abends, wenn die Sonne bereits untergegangen ist, das Licht abnimmt und Du Dich in den auf der Erde ausgebreiteten Schlafsack hinlegst, tauchen nacheinander die Sterne und Planeten auf. Im Laufe der Wüstenzeit werden sie immer vertrauter – es ist, wie nach Hause kommen. Die endlose Weite des ganzen Universums über Dir, die Erde, ebenso vertraut und tragend, unter Dir. In der Nacht wachst Du hoffentlich einige Male auf, um die Bewegung des Großen Ganzen wahrzunehmen. Im Laufe der Nächte weißt Du auch, wie lange die Nacht noch dauern wird, wenn bestimmte Konstellationen über Dir sichtbar sind. Auch die Mondphasen begleiten Dich während der Wüstenzeit. Du stellst fest, wie der Mond jeden Tag/Nacht eine Stunde später aufgeht, abnimmt oder wächst. Es ist das Erleben dieser Tatsachen, die den Aufenthalt in der Wüste so lebendig und wahrhaftig machen. Keine Theorien, die Du in einem Buch liest, sondern spürbare und erfahrbare Gegebenheiten, die Dich berühren und einschließen.
Gegen morgen wird zaghaft das neue Licht wieder sichtbar. In vielen verschiedenen und wechselnden Farben. Die Sterne, die Milchstraße, die Planeten verblassen wieder und der weite blaue Himmel tut sich auf. Und irgendwann berühren Dich die ersten Sonnenstrahlen. Dieser Moment ist wie die Verkörperung bedingungsloser Liebe. Die Sonne fragt nicht, wer Du bist, wie Du heißt, was Du alles geleistet oder gelitten hast. Sie strahlt und berührt Dich. Einfach so. Es braucht vielleicht etwas Zeit, bis Du diesen einmaligen Moment Tag für Tag ganz bewußt wahrnimmst, ohne abgelenkt zu sein. Denn abgelenkt sein ist das, worin die meisten von uns Meisterschaft erreicht haben.
In der Wüste ist es um ein Vielfaches einfacher im Hier und Jetzt anzukommen als in der „normalen“ Welt. Über die Sinne können wir uns mit der Umgebung verbinden und eine Brücke zum Augenblick schlagen. Es geschieht fast von alleine, wenn wir uns einfach irgendwo hinsetzen, hinlegen, schauen, hören, fühlen und innehalten. Vielleicht gibt es noch viele Gedankenketten, die uns davontragen. Aber sie können sich im Laufe der Zeit beruhigen, so, wie der Sand sich nach dem Sandsturm auch wieder legt. In der Wüste ist das alles viel einfacher und natürlicher. Wir müssen uns nur auf die Schliche kommen, wie die fast immer gleichen Gedanken durch unser Gehirn poltern. Es braucht dann einfach Geduld, Weite und Humor. Vielleicht braucht es mehrere Tage und Nächte, bis das Getöse aufhört. Aber wenn der „Aha-Moment“ einmal da ist, kommt die Erkenntnis, dass es möglich ist! So, wie der Ozean Wellen hat, hat unser Gehirn Gedanken. Wenn der Wind weht, dann weht er. Wenn die Gedanken denken, dann denken sie. Einfach nur das. Das ist alles… Natürlich. Und irgendwann, Du musst nichts machen oder tun, ist sie da: die Stille.
Die Elemente sind das Natürlichste, was es gibt. Sie sind die Grundlage unserer Existenz. Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum. Wo können wir sie intensiver und einfacher erleben als in der Wüste. Pur, einfach, ohne SchnickSchnack. Die Elemente zu beobachten, zu fühlen, zu hören, zu sehen, einzuverleiben, ist ein Schlüssel zu Einsicht und Verständnis ohne Worte. Wir müssen nicht immer über alles nachdenken, sezieren, analysieren, überlegen. Wenn wir uns einfach einstimmen auf das was ist, uns ausdehnen und verbinden, haben wir die Chance viel mehr zu erkennen und zu erfahren als mit bloßer Theorie, die uns als Gehirnfutter eingetrichtert wird. Wieder mit der eigenen Seele zu verschmelzen ist ein sehr weiblicher Ansatz und beinhaltet die Hingabe an die Elemente, die Weite und das Sein.
Zurück im Alltag mögen uns die Strudel der Existenz wieder einholen. Aber wir haben einen Schlüssel gefunden zu einem Raum, welchen wir durch bewußtes Innehalten jederzeit und an jeden Ort wieder betreten können. Es braucht vielleicht etwas Übung und bewußtes Erinnern, aber den Samen, den wir in der Wüste gesät haben, können wir pflegen und zur Blüte bringen. So, wie in der Wüste nach einem Regenguss nach vielen Jahren wieder Blumen erblühen, deren Samen lange Zeit im Sand vergraben waren.
Text: copyright Sabera Neeltje Machat (September 2018)
Foto: copyright Manu Theobald